Ihr habt schon länger nichts mehr von mir gehört. Seit Monaten herrscht Totentanz auf meinen Blogs, und auch meine Social Media-Kanäle sind nach und nach verstummt – und mit keinem Ton habe ich euch angedeutet warum. Das tut mir leid, und das möchte ich heute ändern.
Und in gewisser Weise möchte ich damit auch ein Schweigen brechen, was mich mein Leben lang bestimmt hat.
Triggerwarnung: Traumabewältigung
Dass ich mich so lange wortlos verkrochen habe, hat natürlich einen Grund. Kennt ihr den Spruch „Es muss erst mal schlimmer werden, bevor es besser werden kann“? Den würde ich zwar nicht unbedingt als Lebensmotto empfehlen, aber auf meine Situation trifft er offenbar gerade er zu.
Wo fange ich an. Vielleicht falle ich einfach mal mit der Tür ins Haus: Ich leide seit ich denken kann unter psychischen Störungen aufgrund von traumatischen Erfahrungen in meiner Kindheit und Jugend – und der Versuch, meine Traumata aufzuarbeiten hat mir vor ein paar Monaten den Boden unter den Füßen weggezogen.
Das doofe an der Sache ist, dass es nicht damit getan ist, „halt mal die Vergangenheit hinter sich zu lassen“, denn schwere frühe Traumata beeinflussen die Struktur der Psyche derartig stark, dass sie in manchen Situationen völlig anders als eine gesunde Psyche funktioniert. Diese veränderte Struktur stellt Betroffene täglich vor Herausforderungen, die andere Menschen vielleicht gar nicht (oder nicht in dem Ausmaß) kennen.
Dabei konnte ich lange Zeit mehr oder weniger „normal“ funktionieren. Die Symptome von Traumafolgestörungen können zumindest nach außen hin eine Zeit lang so unterdrückbar sein, dass scheinbar alles gut ist. Ich kann euch aber sagen, dass das wahnsinnig viel Anstrengung kostet. Die Folgen waren bei mir unter anderem Depressionen, Angstzustände, die ganz plötzlich bis zur Todesangst gehen können, Schlafstörungen, chronische Erschöpfung, Dissoziation, selbstschädigende Verhaltensweisen, Verspannungen, die einfach nicht loslassen wollen, unerklärliche körperliche Schmerzen und andere ähnlich unschöne Dinge.
Und irgendwann war für mich der Punkt erreicht, an dem ich mir eingestehen musste, dass es so nicht weitergeht. Ich muss mich dem stellen, was mich fertigmacht. Das heißt in meinem Fall, eine Traumatherapie durchzuziehen.
Wie bebildert man Traumafolgestörungen? Keine Ahnung. Ich habe einfach mal ein paar Fotos eingefügt, die ich in den letzten Monaten draußen geknipst hab. Aber „deeper“ als Bilder von Bäumen, Gewässern und Wegen geht eh nicht, oder?
Von meinen Traumafolgestörungen wusste ich schon lange, das war keine Neuigkeit für mich, ich habe auch einiges an Therapieerfahrung. Aber nun habe ich zum ersten Mal den Eindruck, ich bin mit meiner Therapie gerade auf dem richtigen Weg. Dass der „richtige“ Weg beim Aufarbeiten von Traumata erst einmal eine Verschlimmerung bedeuten kann, ist für viele Menschen aber vielleicht schwer zu begreifen.
Man geht nämlich nicht zur Traumatherapie, redet sich hübsch alles von der Seele, heult sich einmal ordentlich aus und dann ist alles gut. Nein. Um genau zu sein, wird erstmal alles scheiße. Sich Dinge bewusst zu machen, die man jahrelang mit aller Macht versucht hat wegzudrängen, ist alles andere als ein Spaß. Es ist anstrengend und destabilisierend. Alte Wunden werden aufgekratzt, und die glatte Fassade, die man sich mühsam aufgebaut hat, bröckelt ganz ordentlich vor sich hin.
Im Spätsommer hat es mir dann den Boden unter den Füßen weggerissen. Darum habe ich hier nichts mehr geschrieben.
Warum veröffentliche ich das auf meinem Blog?
Ich hätte ja auch einfach schreiben können „Hey Leute, aufgrund von persönlichen Angelegenheiten wird es auf meinen Blogs in der nächsten Zeit etwas stiller, ich meld mich bald zurück, habt nen schönen Sommer!“ und irgendwann einfach wieder loslegen können, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Ich habe mich aber dagegen entschieden.
Weil mich die Tabuisierung von psychischen Problemen massiv ankotzt.
Psychische Krankheiten werden auch heute noch in den meisten Fällen totgeschwiegen. Für ein gebrochenes Bein hat jeder Verständnis. Bei Depressionen oder anderen psychischen Problemen heißt es hingegen oft, man müsse sich „halt mal zusammenreißen“.
In der Folge trauen sich nur die Wenigsten, über ihre Probleme zu reden – oder sie gar selbst ernst zu nehmen. Und das führt zu Isolation und (mehr) Depressionen.
Ich konnte früher mit kaum jemandem darüber sprechen und habe meine Probleme auch vor mir selbst immer wieder kleingeredet und geleugnet. Da die Symptome mich aber täglich begleiten, bedeutete das für mich, dass ich nicht nur meine Krankheit verleugne, sondern in gewisser Weise auch mich selbst mein Leben lang versteckt habe. Wie soll sich ein Zustand verbessern, den man sich nicht einmal selbst eingesteht? Jede Ausrede, die ich mir ausdachte, um meinen Zustand zu verschleiern, hat mich noch mehr gestresst, mehr abgeschottet, weiter runtergezogen.
Das kollektive Totschweigen schadet Betroffenen.
Die fehlende Aufklärung über psychische Krankheiten macht aus ihnen wirre Mysterien, denen jeder gelangweilte Nichtbetroffene irgendeinen Unsinn hinzudichten kann. Und bekannterweise tendieren Menschen dazu, Angst vor dem zu bekommen, was sie nicht verstehen. Psychisch Kranke werden oft als gruselig und unberechenbar angesehen und folglich gemieden. Je weniger darüber gesprochen wird, desto mehr etablieren sich in der Bevölkerung falsche Bilder: Schizophrenie wird mit Dissoziativer Identitätsstörung verwechselt, Borderliner werden als Emos bezeichnet, dünne Menschen werden für essgestört gehalten und Essgestörte für dünn, Depressionen werden als Schwäche angesehen oder nicht ernst genommen, wenn Betroffene einem nicht permanent todtraurig ins Gesicht heulen und so weiter und so fort.
Die Tabuisierung von psychischen Krankheiten macht es Betroffenen unheimlich schwer, sich anderen zu öffnen – oder auch nur sich selbst einzugestehen, dass sie Hilfe brauchen. Und im Fall von Traumafolgestörungen hält das Tabu nicht nur Betroffene klein, es schützt unter Umständen auch noch die Täter. Das muss aufhören!
Es muss doch möglich sein, darüber zu reden wie über jede andere Krankheit auch. Das heißt nicht, dass ich über Einzelheiten oder gar Auslöser reden möchte. Absolut nicht! Und es geht auch nicht darum, sich im Elend zu suhlen. Es geht darum, sich zu helfen. Und das ist in vielen Fällen nur mit professioneller Therapie möglich.
Darum möchte ich nicht zur Tabuisierung von psychischen Erkrankungen beitragen. Im Gegenteil. Ich möchte mit meinen Worten einen winzigen Teil dazu beitragen, diesem Tabu einen weiteren Riss zu verpassen.
Dieser Blogartikel bedeutet übrigens nicht, dass sich irgend jemand um mich sorgen muss oder sollte. Das hier ist kein Hilferuf und kein Betteln um Mitleid. Ich bin nun in guten therapeutischen Händen, habe emotionalen Rückhalt von dem besten Partner, den man sich nur wünschen kann, ich habe Freunde, die mir Kraft geben, und ich bin auf einem guten Weg. Auch wenn dieser noch lang ist, viele Therapiestunden und ggf. auch Klinikaufenthalte beinhaltet. Ich erwarte keine Heilung, nur langfristige Besserung, und ich bin bereit, dafür im therapeutischen Rahmen zu arbeiten.
Das bedeutet, ich bin gerade dabei, mein Leben ein bisschen neu zu ordnen, besser für mich selbst zu sorgen und zu lernen, besser mit mir selbst klarzukommen. Erste Schritte sind geschafft und es wird weitergehen.
Und ich werde unbedingt versuchen, wieder regelmäßiger auf meinen Blogs aktiv zu sein. Denn das fehlt mir doch ganz schön!
Für alle Betroffenen:
Da solche Themen triggern können, nenne ich euch an dieser Stelle die Nummer der Telefonseelsorge, die ihr anrufen könnt, sofern ihr sie brauchen solltet:
0800-111-0-111 oder 0800-111-0-222
Falls ihr psychische Probleme habt, nehmt euch selbst bitte ernst. Das Bedürfnis, stark zu sein, kann ich vollkommen verstehen. Aber all das „Alltagsstarksein“ nützt nichts, wenn es euch von innen kaputt macht. Sich ein Problem einzugestehen und sich dem zu stellen, bedeutet auch Stärke. Und nur so kann sich langfristig etwas bessern. Passt auf euch auf. Und denkt dran, dass ihr mit diesen Problemen nicht allein seid!
You cannot stop the waves, but you can learn to surf.
ANNIKA MOON findet ihr auch auf Instagram & Facebook.
Zu Annikas veganem Foodblog MOON SPOON gelangt ihr hier.
17 Kommentare
Hey Annika! Schön, wieder etwas von dir zu lesen! Ich habe dich vermisst! Hatte dchon öfters mal bei dir vorbeigeschaut und hatte mich gewundert, dass es so still ist. Deshalb umso schöner, dass du wieder „da“ bist☺️ Ich wünsche dir einfach weiterhin viel Kraft und Durchhaltevermögen, deinen Weg dadurch zu gehen! Viele liebe Grüße und good vibrations für dich!❤️
Danke, das ist lieb von dir! <3 Es rührt mich ja schon ein bisschen, so was zu lesen. ;) Ganz viele liebe Grüße zurück!
Ich finde es gut, dass du dich hier geoutet hast! Eine psychische Erkrankung kann jeden treffen und ist nichts, was man belächeln oder unterschätzen sollte. Gut, dass du dich mit deinem Problem beschäftigst und veruchst, daran zu arbeiten – nicht, dass es dich in deinem Leben weiter einschränkt! :)
Danke! Ja, damit hast du vollkommen Recht. Liebe Grüße an dich!
Hi liebe Annika,
ich weiß nicht ob du dich noch an mich erinnerst aber wir hatten uns mal beim Veganer-Treffen in Hannover kennen gelernt :)
Hab eben deinen Post gelesen und wollte nur vielen Dank dafür sagen!
Es ist wirklich toll, dass du dich entschieden hast das mit uns zu teilen und ich denke es gibt vielen Menschen Kraft & Hoffnung.
Persönlich habe ich kein Kindheitstrauma, aber kann mich irgendwie trotzdem mit deiner Lage identifizieren. Ich kenne dieses Gefühl einfach nur komplett erschöpft zu sein, so als wäre man gerade einen Monat lang durch die Wüste gelaufen und müsste jeden Tag mit Wölfen & Schlangen kämpfen und alles tut weh und man möchte niemand sehen und fühlt sich als gäbe es kein Morgen mehr und dass man einfach nicht mehr kann.
Deswegen freut es mich so, dass du sagst, dass du eine gute Therapie gefunden hast und es dir langsam besser geht.
Ich wünsche dir das aller Beste für die Zukunft und grüße dich ganz lieb aus China
Isa
Hey Isa, ja, ich glaub, ich erinnere mich an dich. Du warst die mit dem Kaffee und dem Mops? ;) Danke für deine lieben Wünsche! Dir wünsche ich auch alles Gute und eine tolle Zeit in China. Liebe Grüße!
Hi Annika,
schön, dass du wieder schreibst!
Mir hat es gefehlt, von dir zu lesen und deine Bilder zu sehen.
Ich finde es toll, dass du dich entschieden hast, öffentlich zu machen, dass du gerade einen schweren Weg gehst.
Mit dem Text und deiner Offenheit hilfst du mit Sicherheit vielen Menschen – ganz bestimmt aber mir, die „nur“ Burn-out-Symptome hat, aber genügend Leute kennt, die ebenfalls von psychischen Leiden betroffen sind.
Danke für deinen Text und deinen Mut!
Viele Grüße
M
Hey Myrja, danke für deinen lieben Kommentar! Mit Burnout kenne ich mich so gar nicht aus, kann mir aber vorstellen, dass das kein Zuckerschlecken ist und einen vor ziemlich schwierige Entscheidungen stellt. Wünsche dir auch alles Liebe und alles Gute auf deinem Weg. Liebe Grüße!
Raus damit, liebe Annika, denn es kann sowieso nicht mehr schlimmer werden. Das ist zumindest das, was ich mir sage. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie stolz ich auf jede und jeden bin, der sich solchen Dingen stellt. – Ich krieg’s nämlich nicht komplett hin.
Und schön, dass du wieder da bist. Gerade, als ich dir auf Instagram gefolgt bin, wurde es ruhig und ich dachte: Wie schade. :)
Liebe Lola, danke für deinen ehrlichen Kommentar! Was auch immer dir da auf der Seele liegt, ich drücke dir die Daumen, dass du die Kraft findest, die du dafür brauchst. Hab eben mal kurz deinen hübschen Blog überflogen. Wie heißt du denn auf Instagram? Liebe Grüße!
Ach, wer lesen kann, ist klar im Vorteil, hab deinen Insta-Namen gefunden. ;)
Liebe Annika, erst jetzt entdecke ich deinen neuen Eintrag.
Es zeigt von Stärke- du hast dir Hilfe geholt…prima…..es gibt tolle Bücher zu Trauma….habe mich als Yogalehrerin VIEL damit beschäftigt….mein Fazit: JEDER hat mehr oder minder ein Trauma….große, die professionelle HIlfe erfordern und /oder kleine, die man mit viel Selbstpflege gut bändigen kann….Ich alles Liebe und freu mich schon, bald wieder von dir und deinen tollen, großartigen Inspirationen zu lesen. Tina :-)
Liebe Tina, danke für deinen lieben Kommentar! Der Zusammenhang zwischen Yoga und dem Thema Trauma ist mir ehrlich gesagt nicht klar. Aber vielen Dank für das Kompliment an meinen Blog. Viele liebe Grüße an dich!
Ich habe Deinen Blog heute das erste mal besucht, bin emotional angetan und möchte Dir alles Gute wünschen!
LG Blunia
Vielen lieben Dank, Blunia! :)
Hallo Annika,
toll, dass du so offen damit umgehst!
Ich leide selbst unter einen rezidivierenden depressiven Störung (begann in meiner Kindheit/Jugend) und würde vermutlich auch gern offener damit umgehen.
Allerdings studiere ich Psychologie, wo ja stark das Vorurteil verbreitet ist: „wer Psychologie studiert, hat selbst psychische Probleme“. Und studiert es, um sich selbst damit irgendwie zu “ heilen“.
Letzteres ist bei mir eindeutig nicht der Fall.
Nichtsdestotrotz möchte ich mich besonders ungern vor Kommilotonen „outen“. Aber auch vor allen anderen Menschen, die mir nicht sehr nahe stehen. Vor Allem seit mir meine Therapeutin geraten hat, in solchen beruflichen Kreisen nichts von seinen psychischen Problemen preiszugeben, da man dann evtl. als weniger belastbar abgestempelt werde.
Aber auch ich arbeite stetig an mir. Und auch, wenn es einem in vielen Momenten nicht so erscheint, muss man immer daran glauben, dass es auch wieder aufwärts gehen (und zumindest für eine Weile) irgendwann auch so bleiben wird. :)
Liebe Grüße
Danke für deine offenen Worte! Ich kann dein Dilemma gut verstehen. Es ist wirklich sehr problematisch, dass psychische Probleme so stark stigmatisiert werden – und in einigen Berufszweigen besonders! Im privaten Umfeld ist es ja für viele schon extrem schwierig, offen darüber zu reden, womit sie kämpfen. Aber wenn dann im beruflichen Bereich noch solch existenzielle Probleme dazu kommen, ist es noch mal härter. Ich hoffe, du findest einen Weg, mit dem du umgehen kannst. Bleib stark und denk dran, dass die harten Phasen immer mal wieder von besseren Phasen abgelöst werden. Ich wünsche dir viel Kraft!